Englischer Originaltitel: The Vampire Lestat (1985)
Klappentext: „ Lestat de Lioncourt: Er ist schön wie ein gefallener Engel, und wenn er lacht, bersten die Spiegel, doch seine Tränen sind bitter, und sein Lebenselixier ist – Blut. Ruhelos durchstreift der Gentleman-Vampir die Welt, bis er schließlich in New Orleans in einen todesgleichen Schlaf fällt, aus dem er achtzig Jahre später erwacht… Anne Rice, die Königin des modernen Schauerromans, schrieb ein barock-sinnliches Lesevergnügen aus der phantastischen Welt der Nachtgestalten .“
Lestats Karriere als Schauspieler im Paris des achtzehnten Jahrhunderts, seine Verwandlung zum Vampir durch den wahnsinnigen Alten Magnus, die Liebe zu seinen beiden ersten Blutskindern – der schönen und Freiheit liebenden Gabrielle und dem düster-verwirrten „Monstergeiger“ Nicolas - , sein Kampf gegen die abstrusen Vorstellungen des satanistisch geprägten Vampirordens, Lestats Hassliebe zu dessen Anführer Armand, seine Suche nach dem weisen alten Marius, seine erste Begegnung mit Jenen Die Bewahrt Werden Müssen, sein erster langer Schlaf und schließlich seine Wiederauferstehung als Rockstar im New Orleans der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts - das ist grob umfasst der Inhalt dieses zweiten Bandes der Chronik der Vampire.
Wenn Lestat der Protagonist der Vampirchroniken ist, dann beginnen diese im Grunde erst mit dem „Fürst der Finsternis“, in dem Lestat – wie der englische Titel vermuten lässt – inspiriert durch Louis' „Gespräch mit dem Vampir“ seine eigene Lebensgeschichte zu Papier bringt. Mit dem wechselnden Ich-Erzähler ändert sich auch die Perspektive auf das Vampir-Dasein. Anders als Louis, der den Leser auf eine düstere Reise durch den zermürbenden Strudel der Jahrhunderte entführt, scheint für Lestat die Dunkelheit, in die die Unsterblichkeit ihn verbannt hat, nur ein Grund mehr zu sein, sein Licht umso heller erstrahlen zu lassen. Die melancholisch-dekadente Grundstimmung aus „Gespräch mit dem Vampir“ weicht Lestats eigenartig-faszinierender Ton-Mischung aus locker-leichter Direktheit und fieberhafter Rastlosigkeit.
Wir erleben Lestat nicht als den morbiden Flegel, den Louis beschrieb, sondern als den Rebellen, den Gentleman-Tod, für den weder Grenzen noch das Unmögliche existieren. Zu seiner Darstellung in „Gespräch mit dem Vampir“ sagt Lestat selbst:
„Natürlich hasste ich [Louis] wegen all der Lügen, die er über mich verbreitet hatte. Aber meine Liebe war stärker als mein Hass (…) Und ich brannte darauf, für ihn meine Geschichte niederzuschreiben – nicht als Antwort auf seine böswilligen Lügen im ‚Gespräch mit dem Vampir', sondern als Geschichte meiner Erlebnisse von unserer gemeinsamen Wegstrecke, als Geschichte all dessen, was ich ihm bislang nicht hatte erzählen können.“
Mit „Lelios Aufstieg“ ist der erste Teil der Geschichte überschrieben, und wir erfahren, dass Monsieur de Lioncourt schon vor seiner Mutation ein voller Erfolg war – eine Art Allround-Talent, der das Rampenlicht liebt. Ob als Commedia-dell'arte-Künstler oder umjubelter Schauspieler in Renauds Theater in Paris – schon als Mensch ist Lestat der Star seiner Zeit. Auch die Wolfsjagd, die für den jungen Franzosen für die Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten steht, und die Metapher vom „Wilden Garten“, mit der er die Schönheit der Schöpfung für sich umschreibt, spielen eine entscheidende Rolle in der Philosophie des Lestat. Er erzählt sein Leben anhand von Begegnungen. Und bei aller Exzentrik ist „Fürst der Finsternis“ nicht nur Lestats Biografie, sondern auch die des alten Magnus, der ihm die Unsterblichkeit schenkt, die des mysteriösen Armands und seinen „Kindern der Finsternis“ und die der ersten beiden Zöglinge– Gabrielle und Nicolas. Erschreckend anschaulich und beschwörend poetisch beschreibt Anne Rice das grausame Wunder des Geigenspiels Nickis - für mich einer der Höhepunkte des Buches:
„Ein paar volltönende Akkorde hämmerten in die Stille, dann drang wie durch alchimistischen Zauber eine betörende Tonfolge aus der zerbrechlichen Geige, bis sich plötzlich ein wahrer Melodienrausch in das Theater ergoss.
Die Musik durchströmte meinen Körper bis in die Knochen. Ich konnte nicht sehen, wie sich seine Finger bewegten, wie der Bogen über die Saiten flitzte; ich konnte nur sehen, wie sich sein Körper im Takt der Musik wiegte.
Die Läufe wurden immer gewagter, immer schneller, und dennoch war jede Note rein und klar. Sein Spiel war ohne Anstrengung, von traumhafter Virtuosität. Und die Geige sprach, sie sang nicht nur, sie erzählte eine Geschichte.
Die Musik war ein Lamento, entwarf ein künftiges Schreckensbild, wirbelte in hypnotische Tanzrhythmen empor, riss Nickis Körper hin und her. Sein Haar war ein leuchtender Wust im Rampenlicht. Ich konnte sein Blut riechen.
Ich ließ mich auf die Bank sinken, als würde ich mich aus Angst vor ihm wegducken, so wie sich einst die Sterblichen vor mir geduckt hatten.
Und ich wusste, dass die Geige alles erzählte, was Nicki widerfahren war. Die Finsternis explodierte und machte einer Schönheit Platz, die an glimmende Kohlen erinnerte; gerade genug Licht, um zu zeigen, wie tief das Dunkel wirklich war.“
Anne Rices Vampirchroniken leben von ihren Charakteren – die Handlung schleicht oft dahin, durchzogen von so viel schauerhaft-spiritueller Symbolik, das sie dann und wann ermüdend wirkt – nein, es sind eindeutig die Vampire selbst, die den Zauber weben, der ihre Bücher zu „Bestsellern“ gemacht hat.
Eine besonders vielschichtige Gestalt ist der Autorin, meiner Meinung nach, mit der Gestalt des Armand gelungen – Armand, dessen Charakter nicht so recht greifbar zu sein scheint, denn jede ihrer Erzählungen wirft ein anderes Licht auf den engelgesichtigen Kind-Teufel. In „Fürst der Finsternis“ hat er als Anführer des fanatischen satanistischen Vampirordens von Les Innocents sicher seinen eindrucksvollsten Auftritt. Der Kampf zwischen Lestat und Armand in der Kathedrale von Notre Dame kommt in meinen Augen wie ein zweiter Höhepunkt daher:
„Da tauchte er wieder auf und schoss auf mich zu, aber ich wusste schon, was er im Schilde führte, und sprang zur Seite.
Gut fünf Meter von mir entfernt lag er auf dem Boden ausgestreckt, und er starrte mich so ehrfurchtsvoll an, als sei ich ein Gott. Sein langes, kastanienfarbenes Haar war durcheinander, seine braunen Augen waren zu Wagenrädern geweitet. Und trotz seines freundlichen Unschuldsgesichts toste seine Willenskraft auf mich ein, ein kochender Strom von Verwünschungen, um mir mitzuteilen, dass ich schwach und ein Narr sei und dass mir seine Anhänger gleich jedes Glied einzeln ausreißen würden. Sie würden meinen sterblichen Liebhaber langsam zu Tode braten.
Ich lachte in mich hinein. Das war alles so absurd wie ein Kampf in der alten Commedia. (…)
Dann ein Schreck ohnegleichen – er versuchte, seine Fangzähne in meinen Hals zu rammen. Seine Augen waren rund und leer, als seine geschürzten Lippen die Zähne freigaben. Ich stieß ihn zurück, und schon war er wieder verschwunden.
Da näherten sie sich, die anderen.
‚Er ist in der Kirche, euer Meister, seht ihn euch an!' sagte ich. ‚Jeder von euch kann in die Kirche kommen. Euch wird nichts geschehen.'
Gabrielle schrie auf, um mich zu warnen. Zu spät. Er tauchte direkt vor mir auf, wie aus dem Boden gestampft, verpasste mir einen Haken gegen das Kinn und riss meinen Kopf nach hinten, dass ich die Kirchendecke sah. Und ehe ich noch Luft holen konnte, hatte er mir einen gewaltigen Schlag auf den Rücken versetzt und mich durch das Portal mitten auf den Platz gewirbelt.“
Auch die erste Begegnung Lestats mit Akasha in diesem Buch, als er mit seinem Geigenspiel zum ersten Mal zu ihr durchdringt, ist sicher ein entscheidender Moment für die weitere Entwicklung der Vampirchroniken und dringt ein wenig tiefer in das Geheimnis nach dem Woher der Vampire, das Louis in „Gespräch mit dem Vampir“ so verzweifelt zu ergründen versucht hat.
Fazit: Ich persönlich liebe dieses Buch wie kaum ein anderes von Anne Rice. Irgendwie scheint sie mit „The Vampire Lestat“ auf dem Goldenen Mittelweg zu wandeln – die Grundstimmung ist nicht so eintönig depressiv wie in „Interview with the Vampire“, verliert dabei jedoch keinesfalls ihre schauderhaft schöne Poesie; die Charaktere stellen sich noch nicht so unrealistisch allmächtig dar wie in „Königin der Verdammten“ und wirken doch wie einer düster-phantastischen Parallelwelt entsprungen. Auch von endlosen Wiederholungen des Schon-mal-Gesagten oder abstrusen Handlungsfäden, wie sie Rices späteren Werken oft nachgesagt werden, ist hier noch nichts zu spüren. Der „Fürst der Finsternis“ ist einfach eine wunderschöne Komposition, eine Hybridisierung von Musik, Kunst und Literatur, von Damals und Heute, von Schönheit und Grauen, von Liebe und Hass in einem einzigen Werk!
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